2020

Eine Ode an die Selbstkontrolle

03. April 2020, Quarantäneblock

Die Zeiten bleiben anders. Und das fordert von uns allen eine gewisse Standhaftigkeit. So haben sich inzwischen Rituale in die Isolation eingeschlichen, die wir liebgewonnen haben. Die meisten sind sozusagen systemrelevant, denn sie versüßen uns mehr oder minder die Standhaftigkeit, die die Isolation von uns abfordert. Ohne diese systemrelevanten, genaugenommen aber aus der Not geborenen süßen Rituale würden wir vermutlich im Lagerkoller ersticken.  

Viele kleine Rituale kann man bei Kolleg*innen während der zahlreichen täglichen Videokonferenzen beobachten. Da präsentiert die eine stolz die allgegenwärtige Jogginghose mit dem Hinweis, dass man sie gerne mal zuhause trage. Nun ist die Kollegin eine anerkannt sportliche, hat sich das am Hochaltar der deutschen Sports, der Deutschen Sporthochschule, akademisch absegnen lassen. Sie frönt einst ziemlich erfolgreich einem eher entlegenen Mannschaftssport zusammen mit ihrem Lebensgefährten, der kleine Sohn ist eifriger Kinderturnstundengänger und – obwohl noch zu jung – begeisterter Pennäler an der Heidelberger Ballschule. Nun kann die Kollegin froh sein, dass sie nicht nur sportlich, sondern eben eine Frau ist. Im Sinne modernen Genderings muss ich aber feststellen: Was für Männer gilt, gilt halt auch für Frauen. So finde ich schade, dass der Equal Pay Day vor zwei Wochen angesichts der anhaltenden Krise fast untergegangen ist, denn es kann nicht sein, dass Frauen durchschnittlich immer noch 20 Prozent weniger verdienen als Männer. Im Umkehrschluss bedeutet es aber, dass die wohl geistreichste Äußerung des großartigen Philosoph Karl Lagerfeld zum Modeverhalten von Männern durchaus für alle Geschlechter gelten muss: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“. Der vor gut einem Jahr verstorbene Modezar war weitblickend. Zweifelsohne. Offensichtlich hatte er das, was wir alle gerade gerne haben würden, wenn wir auf die Entwicklungen der nächsten Wochen blicken wollen – eine Kristallkugel. Denn sein kategorischer Imperativ in Sachen Jogginghose sollte uns Home Officer*innen ein Handlungsdogma sein: Zieht euch ordentlich an, wenn ihr an einer Videokonferenz teilnehmt! Oder verbergt euer Beinkleid. Karl Lagerfeld und seine Anhänger danken es Euch. Und eine Jogginghose hat mit Sport nichts zu tun. Höchstens etwas mit Selbstkontrolle, gerade in Zeiten, in denen alles anders bleibt.


Betrachtungen von außerhalb

02. April 2020, Hessischer Turnverband - Quarantäneblock

Unser Blog mitsamt unserer persönlichen Erfahrungsberichte scheint nun auch die Grenzen des Hessischen Turnverbands überschritten zu haben. So wollen wir auch unserer eifrigen Leserin aus anderen Gefilden die Möglichkeit bieten, ihren Alltag zu teilen...

In meiner Autobauerstadt im Rhein-Main-Gebiet haben sich das Corona-Homeschooling (CHS) und das Corona Homeoffice (CHO) inzwischen eingespielt. Und – auch wenn ich zu Anfang meine Zweifel hatte – haben meine Kinder es geschafft, eine Struktur und einen geregelten Tagesablauf für sich zu finden.

Dabei zeigt sich, dass die aktuelle Situation nicht nur Nachteile hat. Durch die eigenverantwortliche Planung der schulischen Arbeitsaufträge, können meine Kinder nun ihren individuellen Lernvorlieben nachgehen, im Normalbetrieb undenkbar.

Seit meinem Eintritt ins CHO haben sich auch die kleinen Nickligkeiten gelegt, die in den ersten Tagen Homeschooling noch meine Kollegen im Büro genervt hatten, weil die „lieben Kleinen“ ihre Streitigkeiten via WhatsApp in unserer Familiengruppe austrugen, was meinen Schreibtisch dauerhaft vibrieren ließ. Nein, ich hätte das Telefon nicht lautlos stellen wollen, es hätten ja Notfälle jenseits eines leeren Nutella-Glases auftreten können.

Die mütterlichen Vorgaben, mindestens vier Stunden „Schule“ und eine Stunde Bewegung, lassen sich bei gutem Wetter besser umsetzen als in der Kälte der vergangenen Tage. Und jeden Tag bin ich dankbar für die Tatsache, einen eigenen Garten zu besitzen. Einen Garten, von dem die Nachbarn gerade wieder feststellten, dass er schon lange nicht mehr von so vielen unserer Familienmitglieder genutzt wurde. Gemeinsam oder allein.

In diesem Garten werden auch neuerdings Sportarten ausgeübt, die sicherlich niemals olympiatauglich werden oder solche, von denen ich hoffe, dass die Kinder nach Corona diese nicht im Verein betreiben wollen. Wie soll ich es meinen Kindern begreiflich machen, dass ein Volleyballnetz im wahren Leben doch höher ist als die gespannte Wäscheleine…

Im Gegensatz zum Wetterauer DIY-Fitnessraum habe ich unsere Treppe als Bewegungsquelle für mich entdeckt. Den Raum zum Arbeiten im Keller, die Kaffeemaschine im ersten Stock, das stellt sich mir die Frage, ob ich meinen Kaffeekonsum zugunsten der Bewegung einfach weiter nach oben schrauben sollte.

Dass der Mann im Haus nun Kurzarbeit hat, hat mir glücklicherweise den so oft gelesenen „neuen Kollegen“ erspart; von dem ich sicher bin, dass ich mit ihm aneinander gerasselt wäre. Nachdem er mir an seinen ersten Tag zu Hause einmal eine Tasse Kaffee brachte und dafür einen nichtverdienten Anpfiff kassierte, weil er mich um mein „Kaffee-Treppen-Workout“ brachte, hat er sich selbst in den Garten verbannt und mich mit Treppe und Kaffeemaschine allein gelassen.

Viele Grüße aus dem CHO!


Die Welt steht Kopf

02. April 2020, Hessischer Turnverband - Quarantäneblock

Systemrelevant - das Wort des Jahres?

Plötzlich ist alles anders – wir nehmen aufeinander Rücksicht. Auf die Menschen, die in unserer Leistungsgesellschaft zuvor untergegangen sind. Auf ältere Menschen. Auf die Menschen, die eine Erkrankung haben und auf Menschen, die einen harten, aber schlecht bezahlten Job machen. Pfleger*innen, Krankenhauspersonal, LKW Fahrer*innen, Verkäufer*innen, aber auch Polizist*innen, Erzieher*innen oder Lehrkräfte und viele mehr erhalten in diesen Zeiten eine ganz andere Anerkennung. Vielleicht geht das Wort "systemrelevant" nach 2020 in die Geschichte ein –  wer weiß das schon.

Auf einmal wird der Automatismus "schneller - besser - weiter", der in unserer Gesellschaft vorherrscht, gebrochen. Auf einmal entschleunigt sich diese Welt und wir werden gezwungen, unser aktuelles Weltbild zu hinterfragen. Es ist traurig, dass die Politik und Teile unserer Gesellschaft erst jetzt erkennen, worauf es wirklich ankommt. Dass die Unterbezahlung der oben genannten Berufsgruppen unberechtigt ist. In normalen Zeiten erhalten diese Menschen nicht die Sicherheit, das Einkommen und die Wertschätzung, die ihnen zustehen. Umso mehr berührt die aktuelle Dankbarkeit vieler Menschen für alle, die nun endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Durch Applaus an den Fenstern, durch Social Media Aktionen und durch ganz viel Wertschätzung. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Wertschätzung und Dankbarkeit in Zukunft auch auf dem Gehaltscheck der oben genannten Berufsgruppen widerspiegelt.

Und es funktioniert ja doch!

Die Menschen bleiben zuhause in ihren Wohnungen und schützen so andere - der Inbegriff von Solidarität. Denn es kann ja jeden treffen - auch unsere Oma, Mama oder Tochter, unseren Papa, Bruder oder Opa.

Es ist schön zu sehen, dass die Menschen füreinander da sind. Dass sie aufeinander aufpassen. Dass sich tausende Medizinstudierende zur Verfügung stellen, um zu helfen. Dass Jugendliche für Risikogruppen einkaufen gehen. Dass es Online-Bibliotheken, sowie -Sportangebote und Wohnzimmerkonzerte gibt.

Wir denken an andere und nicht nur an uns selbst. Vielleicht können wir aus der aktuellen Krise ja doch das ein oder andere für unsere Zukunft mitnehmen.

"We're all in this together"

Ja, die Welt steht Kopf - und wir halten zusammen!


Falls Netflix alle ist, ich weiß, wo es ist

27. März 2020, Ann-Kathrin Oberst - Quarantäneblock

Wenn ein Film- und Serienverrückter Netflix-Nutzer positiv auf das Coronavirus getestet wurde, ist das durchaus ein Szenario, welches man in Betracht ziehen könnte. Aber allen Netflix-Nutzenden kann Entwarnung gegeben werden, da falsch gedacht: Völlig symptomfrei und nur aufgrund Kontakt zu einer positiv getesteten Person überhaupt dem Test unterzogen, zeichnet sich im Jahr 2020 ein anderes Bild. Denn der Patient ist ja gar nicht krank (obwohl er ja eigentlich positiv getestet und damit krank ist, ziemlich paradox), sondern nur in häuslicher Quarantäne und arbeitet daher auch ganz brav, wie derzeit viele andere Millionen, aus dem Homeoffice. Und erfreute sich dabei (wie zumindest ich finde) bester Gesellschaft, denn natürlich hatte auch seine bessere Hälfte strenges Ausgehverbot.

Gute Gesellschaft habe ich übrigens nicht. Meine bessere Hälfte setzt sich nämlich nach wie vor täglich den Gefahren draußen in der Alsfelder Wildnis aus und tigert zur Arbeit. SYSTEMRELEVANT prangt auf dem Schreiben, dass er im Auto liegen hat. Nur für den Fall der Fälle, dass doch noch hektisch eine Ausgangssperre verhängt wird. Machen die anderen ja schließlich auch so. Irgendwie putzig findet er dieses Homeoffice, bei dem ich auch mal nachmittags aufstehe, „So, Feierabend“ sage, und mich erstmal kurzzeitig auf der Couch niederlasse.

Einsam und irgendwie langweilig ohne die Kolleg*innen finde ich es. Trotz Videokonferenzen. Es ist einfach nicht dasselbe, wie eine unserer Frühstücks- oder Mittagspausen im TZA mit allen um sich herum zu verbringen. Keine Witze, keine Sprüche und auch keine lehrreichen Infos zu den neuesten Unterhaltungssendungen im TV, von denen sie zwar meist niemand gesehen haben will, aber die ein oder andere Kollegin doch lebhaft darüber zu berichten weiß. Ich als Wenig-Fernseherin bin ja überhaupt nicht mehr up to date, welche Shows gerade laufen, in denen zum Beispiel Maskottchen Songs zum Besten geben (können wir da eigentlich auch mal Fino, Mala oder Lumi anmelden?). Das werden wohl lange Mittagspausen in der Zeit nach dem Homeoffice, um das alles nachzuholen…


Von Jahn bis Fonda: Bewegung muss sein

26. März 2020, Quarantäneblock

Es kommt so, wie es kommen musste. Nein, es hat sich keiner im Umfeld der hier Schreibenden mit dem Virus angesteckt. Gottseidank. Doch die Isolation bringt immer mehr Stilblüten zum Vorschein. Um es vorsichtig so zu nennen. Doch lassen sie mich von vorne anfangen. Schuld ist Jane Seymour Fonda. Ja, genau… eigentlich ist sie eine bewundernswerte Frau. Tochter eines Hollywood-Mega-Stars der 50er und 60er, einst Sexsymbol, heute Charakterdarstellerin und Bürgerrechts- sowie Klimaaktivistin. So gerne ich Frau Fonda heutzutage mag, ich kann diese Bilder nicht aus meinem Kopf bekommen. Gemeint ist natürlich nicht ihre Rolle als Barbarella in den 60ern, spärlich bekleidet mit tiefem Dekolletee sondern als Fitness-Queen der 80er. Als ich zum ersten Mal die Aerobic-Filme in einem der damals nur drei Programmen sah, war der Griff zur Fernbedienung die unaufgeregteste Reaktion, an die ich mich in diesem Zusammenhang erinnern kann. Schweißbänder auf der Stirn, Skinnys oder Leggins und dazu wöllerne Stulpen, die die Fesseln verhüllten, in Kombination mit einer hochtoupierten Locken-Dauerwelle.  

Um es kurz zu halten: Vor vierzig Jahren habe ich es mir geschworen – keine Aerobic. Auch wenn ich nach außen – aus professionellen Gründen sozusagen – immer so getan habe, als ob Aerobic in seinen unterschiedlichen Varianten (auch als Wettkampfsport), mit Brettern oder auf Matten, integraler Bestandteil der hochgeschätzten turnerisch-gymnastischen Bewegungsformen sei, die aus unserem Portfolio nicht mehr wegzudenken ist und ihre quasi-Erfinderin Jane Fonda mit Jahn und GutsMuths gleichzusetzen wäre – Aerobic habe ich immer verweigert. 

Weil derzeit nun alles anders ist (und in diesem Kontext hoffentlich nicht bleibt), kam es gestern Abend zu einem annalenhaften Bruch dieses Treueschwurs. Irrgeleitet durch vermeintlichen Bewegungsmangel konnte ich wie durch Zauberhand dem familiären Angebot eines Workouts nicht widerstehen. Beim Betreten unseres Fitness-Tempels schwante mir Ãœbles. Wie durch Geisterhand waren plötzlich Step-Bretter aufgetaucht, 80er Jahre-Mucke erfüllte den Raum. Eine Bewegungs-Entzugs-Trance, schnelle Rhythmen und gute Launen der Mit-Workouter führten mich zum verblieben leeren Stepper – und schon nahm die Sache ihren Lauf.  

Ich erspare jetzt den Leser*innen etwaige Details über meine koordinativen Mängel, aber am Ende war ich ordentlich außer Atem und beim Cool down musste ich feststellen, dass ich in einem solchen halben Stündchen schon schlechtere Sport-Angebote erleben durfte. Trotzdem: Es wird wieder wärmer und Rennradfahren fällt nicht unter das Kontaktverbot. Manches darf dann doch anders bleiben. 


Schule fürs Leben

25. März 2020, Quarantäneblock

Die gestern aufgeworfene Frage, wo denn der Sport bleibt in diesen Zeiten, in denen alles anders bleibt, hat mich gestern auf ganz anderem Wege eingeholt, nämlich beim Blick auf den Nachwuchs. Ja klar, unser Tempel der Fitness steht allen Mitbewohnern offen. Aber es ist halt eine eher individuelle Lösung, wo jeder stressbedingt am Boxsack den Kartenspielfrust loswerden kann oder ganz nach Plaisir den Stabi-Übungen oder den entspannenden Yoga-Übungen nachgeht.

Heute richtete sich beim gemeinsamen Frühstück die sportliche Aufmerksamkeit in eine andere Richtung. Schuld daran ist das Lehrerkollegium der Schule meiner Kids. Das verteilte nämlich per WhatsApp ein hübsches Motivations-Bild. Weltklasse. So weit. Nun entwickelte sich unser kleiner Exkurs zu den heute anstehenden (Video-)Lehrstunden bzw. Hausaufgaben, die irgendwie durch den digitalen Dschungel den Weg in unser friedfertiges Wetterauer Anwesen gefunden haben. Naja, das Übliche, könnte man nach einer Woche sagen: MINT-Fächer, Englisch, Deutsch, Französisch.

Die Versorgung mit Schulstoff ist sichergestellt. Sieht man von einer fast schon beiläufigen Ausnahme ab: Sportunterricht. Ich muss zugeben, da bin ich hyperempfindlich, weil ich schon lange den Verdacht hege, dass der Sport – wenn auch inzwischen sogar als Abiturfach zugänglich – hinter all den Fremdsprachen, MINT-Fächern ein Schattendasein fristet. Zumindest im vorherrschenden Bildungskanon. Sport ist immer das erste Fach, das ausfällt oder durch Fachfremde vertreten wird, die dritte Sport-Wochenstunde ist den Erlass nicht wert, auf dem es geschrieben steht. Und die Krise offenbart die Wahrheit. So gut wie nirgendwo findet irgendwas in Richtung Schulfach Sport statt, wohin man auch hört. Chancen, gerade digitale, gibt es genug. Das beweisen uns die zahlreichen Online-Seminare, die gerade die Internetleitungen verstopfen. Wobei meine Fantasie in diesen Angelegenheiten tatsächlich sehr beschränkt ist. Da habe ich tatsächlich Gottvertrauen in die Kreativität der Kollegen Sportlehrer. Ich bin mir sicher, die würden sich so einiges einfallen lassen in Sachen Bewegungserziehung. Und die Schüler*innen hätten sicherlich Spaß an der Abwechslung in Zeiten, in denen alles anders ist.


Kopf hoch!

24. März 2020, Quarantäneblock

Wenn alles anders bleibt, wo bleibt dann der Sport? Das ist eine der meistgestellten Fragen bei denen, die berufsmäßig oder per Passion aktuell über die schönste Nebensache der Welt sinnieren. Bislang ist mir das in der Quarantäne nur bedingt gelungen. Schadensbegrenzung war bislang das Motto, und das auch nur intrafamiliär, also innerhalb der Isolation. Sozusagen beruflich wurde ich nun jedoch aufgefordert, auch mal den Kopf zu heben und Ã¼ber den Quarantäne-Tellerrand hinauszublicken. 

In diesem Ansinnen verstecken sich allerdings Tücken. Egal, wie ich es auch angehe, ich gerate in Sackgassen. Fangen wir mal den wenig bis gar nicht relevanten Dingen an: Social Media. Okay, inzwischen könne sie auch von uns lernen, wie sie sich in pandemischen Zeiten körperlich über Wasser halten, ist aber auch nur ein Pausenfüller (Entschuldigung, Kolleg*innen!). Hebt sich aber ab, gegen das, was man sonst so geboten bekommt… aber weiter! Fernsehen und Hörfunk. Nach einem kurzen Zucken der Vernunft kommen die üblichen Muster zum Vorschein. Reporter vor leeren Fußballstadien oder Bundesliga-Trainingsplätzen, die uns fünf Minuten sagen, dass weder sie noch die Bundesliga-Vereine noch ihre Manager irgendwas zu sagen haben, geschweige denn, irgendetwas anderes tun, als auf monetär extrem hohem Niveau zu jammern. Und weil ich ihnen meinen Informations-Dreiklang schon vorgestellt habe, ahnen Sie jetzt, dass ich meine Hoffnung in die Tageszeitung stecke. Aber auch gilt das gleiche: Nach kurzem Zucken…. 

Einzig die Frage, ob wir im Juli Olympia in Tokio erleben dürfen, ist noch offen, oder wird offen gehalten, damit wir weiter im Sumpf der fauligen Sportabstrusitäten weiterstochern dürfen und die Kolleg*innen weiterhin ihre schwefligen Standardphrasen aufblubbern lassen dürfen. Das war böse und eigentlich nicht so gemeint, denn die die Kolleg*innen in den nach wie vor offensichtlich gut funktionierenden Redaktionen ernten von meiner Seite den allergrößten Respekt, den alle verdienen, die in dieser Zeit hart schuften müssen und sich dazu noch der Gefahr einer Ansteckung aussetzen. Ihnen applaudiert keiner abends vom Balkon zu, hingegen flucht man gerne über sie (ich nehme die Worte am Beginn des Absatzes hiermit zurück!), freut sich aber über die Zerstreuung, die sie in Zeiten der Isolation bieten! 

Also von vorne: Wie geht’s weiter mit dem Sport? Keine Zeit mehr, ich muss zu meinen Workouts in unseren heimischen Fitness-Tempel. Wir wollen ja auch in dieser Zeit fit bleiben. Fit bleiben in Oberflächlichkeit, in Gewinn-Orientierung, in Individualismus. Ist während der Krise vielleicht schon wie nach der Krise oder vor der Krise? Mal sehen, denn es bleibt ja alles anders. 


Indiana Jones und der Tempel der Fitness

23. März 2020, Quarantäneblock

Hühnerfrikassee ist ja ein stiller Quell der Freude. Stille, oft einsame grüne Erbsen kämpfen sich zwischen zart-zerkleinerter Hühnerbrust an die Oberfläche einer hellen, mehlschwitzigen Sauce; dazu verteilt der heiße Basmatireis einen wundervollen Duft von Jasmin in der engen Küche einer übersichtlichen Drei-Raum-Wohnung im Zentrum einer ebenso kleinräumigen hessischen Universitätsstadt. Er empfiehlt sich schon vorab, der neue Kollege. Obwohl es mir dünkt, es fehlt an einer wichtigen Tugend, die man dieser Tage allenthalben anempfohlen bekommt - Struktur.

Überhaupt, so quillt es aus allen Kanälen: Verpassen sie ihren Tagen in Isolation eine verbindliche Struktur. Nun deuten nicht nur die allerorts aufgelassenen Kaffeetassen auf ein gewisses strukturelles Versagen hin, was allerdings in diesem Fall eher eine beziehungstherapeutische, nennen wir es einmal Fragestellung zu sein scheint. Eigentlich geht es ja um den Tagesablauf, den man mit sinnvollem in einer sinnvollen Reihenfolge füllen sollte, ohne dabei auf Sozialkontakte zurückzugreifen. Nun ja, hier wie dort, sieht es ja gar nicht so schlecht aus. Zumindest geht man regelmäßig seinem Tagwerk nach und auch die Nahrungsaufnahme scheint in wiederkehrenden gesichert, zudem noch in offensichtlich hochwertiger Qualität.

Bleibt nur noch die Frage, die sich an dieser Stelle einfach stellen muss: Was ist mit dem regelmäßigen Sport? Während in der Wetterau ernste Maßnahmen zur Eindämmung des E-Sports unternommen werden, rücken die täglichen, echten Leibesübungen zunehmend in den Vordergrund. Noch warten wir auf die Ertüchtigungsübungen, die uns von den HTV-Bildungsreferentinnen via YouTube versprochen wurden, doch die Vorbereitungen für das Familien-Fitness-Studio laufen seit Beginn des Wochenendes auf Hochtouren.*

Wohl dem, also, der noch einen (leider unbeheizten) Raum übrig hat. Landleben hat halt seine besonderen Reize. So holten wir heute den alten Ergometer aus dem Keller, sonst eher zum Zwecke des Campings angeschaffte Isomatten wurden verfrüht aus dem Winterschlaf geweckt und vergessen geglaubte BlackRolls ausgemottet. Die wahre Attraktion dürfte allerdings der Sensationsfund meines ältesten Sohns sein. Mit archäologischer Akribie befreite er seinen alten Boxsack aus den Tiefen eines Abstellraums (wie gesagt: Landleben hat seine Reize!) und rundete seine Ausgrabung mit dem aus der gleichen jungsteinzeitlichen Periode stammenden Boxhandschuhen ab. Unser Indiana Jones der Wetterauer Gegenwart machte sich – Seit an Seit mit dem Autor dieser Zeilen sofort an die Decken-Befestigung. Doch das Projekt konnte nicht abgeschlossen werden, denn die Tagesstruktur forderte ihr Tribut. 15 Uhr: Kaffee und Kuchen (Apfeltarte – vergesst das Hühnerfrikasse) und anschließend die gestern zitierte Streit-Patience. Zwei Gründe, das Fitness-Studio insgesamt und den Boxsack im Besondern in Betrieb zu nehmen. Ich habe natürlich beim Kartenspielen verloren.

 

*Anmerkung der Redaktion: Die versprochene Fitness-Video-Reihe gibt es seit Freitag auf der (nicht systemrelevanten) Facebook-Seite des HTV ;)


Der neue Kollege

20. März 2020, Hessischer Turnverband - Quarantäneblock

Nun lese ich als aufmerksame Kollegin seit drei Tagen den Blog und muss mich dazu auch mal zu Wort melden. Die Welt steht Kopf. Da sind wir uns wohl einig. Das Leben, wie man es so Tag ein, Tag aus kennt, macht gerade Pause. Hier herrscht Konsens.

Aber in den Beschreibungen des Kollegen aus der Wetterau kann ich mich nur bedingt wiederfinden. Nicht nur, dass mir als Stadtbewohnerin (beste Innenstadtlage in einer bekannten hessischen Universitätsstadt) das Kaffeetrinken im sonnigen Hof/Garten verwehrt bleibt – nein, der Lagerkoller in meiner Wohnung ist hier schon viel deutlicher zu spüren. Und das nach gerade mal einer Woche selbst auferlegter Quarantäne. Auf 65 Quadratmetern, verteilt auf zwei Zimmer, Küche, Bad geht man sich doch schon etwas mehr auf die Nerven als einem lieb ist. Die bessere Hälfte (und ich vermute, das „bessere“ in diesem Ausdruck werde ich mir in den kommenden Wochen immer mal wieder vor Augen halten müssen) hat einen anderen Rhythmus, eine andere Arbeitsweise, einen anderen Tagesablauf.

Dennoch teilen wir uns seit Montag ein Büro – aka unseren Küchentisch, belagert von zwei Computern, einem weiteren Bildschirm und zahlreichen Kaffeetassen. Dies hat zur Folge, dass er meine Kolleg*innen nun alle beim Namen kennt und sie anhand ihrer Stimme zuordnen kann. Einige von ihnen durften ihn auch schon mehrfach durchs Bild huschen sehen, wenn er sich während einer meiner Videokonferenzen zum Beispiel einen Kaffee machte („Du telefonierst mit Video? Wieso sagst du mir das nicht?“). Er ist also überall live dabei und gibt seinen Senf ab, was meinen Geduldsfaden am heutigen fünften Tag fast zum Reißen brachte. Er sieht die Dinge aber auch aus einer anderen Sicht und schlägt mir immer öfter auch sehr hilfreiche Sachen vor – Themen, Projekte, Herangehensweisen – und versteht vermutlich erst jetzt, was ich in meinem Job eigentlich wirklich mache. Das sind doch irgendwie sehr nette Nebeneffekte. Und außerdem sorgt er dafür, dass ich mich nicht von Cornflakes und Nudeln ernähren muss, sondern kocht und backt (heute gab es zum Mittagessen übrigens fanstatisches Hühnerfrikassee). Der neue Kollege ist also doch gar nicht so schlimm. Und wenn er jetzt noch lernt, seine Kaffeetassen nicht immer und überall rumstehen zu lassen, wird die Home-Office-Quarantäne-Zeit vielleicht doch erträglich. Denn wir werden – anders als der Kollege und seine Frau in der Wetterau – brav davon absehen, Zank-Kartenspiele zu spielen…


Kollateralschäden

20. März 2020, Quarantäneblock

Alles bleibt anders. Eine Woche dauert die Isolation inzwischen. Und ehrlich: Die Kollateralschäden sind bislang übersichtlich. Man darf sich wundern, was alles klappt, wenn die Kollegin*innen alle an einem Strang ziehen und die Familie sich Mühe gibt. Diese Faktoren, gepaart mit der Tatsache, in einem Haus mit Hof in einem Wetterauer Dorf zu wohnen, ließ bislang keinen Lagerkoller aufkommen. Zumal das Wetter bislang mitspielte. Doch nun ist erstmal Schluss mit Nachmittagskaffee in der Sonne und Rennradtouren. Denn es wird wieder kühler. Und trüber. Das könnte sich auf das Gemüt auswirken, so meine Befürchtungen, und die die bislang empfundene Gelassenheit vieler – auch aus den eigenen Reihen – in einen stärkeren Panik-Modus versetzen.  

Und der wiederum dürfte sich auch bei mir in den nächsten Tagen potenzieren – analog der Ansteckungszahlen, was aber wiederum nicht an diesen liegt. Denn der Familienfrieden befindet sich in Gefahr, auch wenn die Kurzweil für das nahende kalte Wochenende gesichert scheint. Meine Frau und ich haben uns nämlich vorgenommen, ab heute mittag eine alte, fast ins Vergessen geratene partnerschaftliche Tradition aufleben zu lassen. Nein, nicht das, was sie jetzt denken. Sondern: Die Rommee-Karten auszupacken und gegeneinander ein paar Spielchen â€žTake 5“ zu wagen. Dabei handelt es sich um ein Kartenspiel für zwei Personen, das zwar mit dem harmlosen Namen des gleichlautenden Dave-Brubeck-Jazzklassikers (lohnt sich übrigens, auch mal wieder zu hören!) trägt. In Wahrheit handelt es jedoch sich um eine Streit- oder Zank-Patience, die ihren Klarnamen zurecht trägt. Denn nach ihrer Einführung in unseren Ehealltag (pikanterweise durch unsere Trauzeugin und beste Freundin) wurde schnell klar, dass es dem partnerschaftlichen Frieden eher zuträglich ist, wenn wir auf Dauer die Finger von diesem herrlich-kurzweiligen Kartenspielchen lassen. Oder anders: Weil ich immer gegen mein stoisches Gegenüber verliere, trug ich bereits ernste Verbrechensabsichten in mir. Ich weiß, das gehört eigentlich zum Familientherapeuten und nicht auf den Quarantäneblock. Aber wenn Kollateralschäden drohen…  

Jetzt wissen Sie also, was los sein könnte, wenn in den nächsten Tagen hier andere Autoren erscheinen sollten. Zumindest hat es aus aktueller Sicht nichts mit Covid-19 zu tun. Gottseidank.


Wenn die Welt sich anders dreht

19. März 2020, Quarantäneblock

Isolation bedeutet auf keinen Fall Stillstand. Die Welt dreht sich nämlich weiter. Nur irgendwie dreht sie sich anders. Im Arbeitsalltag dreht sie sich nun digital. Denn die Pandemie bedeutet gleichzeitig auch die Renaissance von Skype, Telkos und Vikos. Wohl dem, der sich einer stabilen und schnellen Internetleitung erfreuen kann. Notwendige Sozialkontaktvermeidung steht halt im Gegensatz zur Präsenz- und Sitzungskultur agiler Unternehmen. So treffen wir uns zu virtuellen Mitarbeitenden-Meetings, zeigen uns extrem diszipliniert und verwalten, was es noch zu verwalten gibt.  

Anders sieht es da bei meinem Sohn aus. Der schreibt heute seine erste schriftliche Abitur-Prüfung. Erstmal ein großes Lob, denn wie sich das für einen, der Sport-Abi macht (auch wenn heute English dran ist), gehört, fährt er die nötigen 8 Kilometer mit dem Rad zur Schule. Er weiß, das bringt den Kreislauf samt Stoffwechsel in Schwung. Was ihn dort erwartet, war schon gestern klar, als die Motivationsplakate gehängt und begutachtet wurden: Gespensterstimmung. Verlassene Schulgebäude, Klassenzimmer, denen der Geruch frischer Desinfektion anhaftet, und spärlich besetzte Prüfungsräume, überwacht von höflich distanzierten Lehrkörpern. Die Stimmung schwankt zwischen Erleichterung, die Vorbereitungen nicht nochmal aufnehmen, verlängern bzw. verschieben zu müssen, und Frustration, denn bereits jetzt steht fest: Es sollte der Sommer seines Lebens werden. Malle, Interrail, Abiball, Feiern ohne Ende. Was davon bleiben wird? Man wird sehen, vermutlich aber nicht so viel. Die Welt dreht sich derzeit halt irgendwie anders. 


Systemrelevant

18. März 2020, Quarantäneblock

Um es gleich klar zu haben. Ich bin nicht in Quarantäne. Zumindest nicht aus infektiösen Gründen. Aber mein Kopf kommt sich so vor. Spätestens seit heute früh. Denn der Kiosk hat heute nicht mehr aufgemacht. Er ist nämlich nicht systemrelevant. Das wiederum hatte zur Folge, dass ich mich fragte, was überhaupt systemrelevant ist. Und weil man ja neuerdings seine Zeit anders disponiert als gewohnt, kann man ganz wunderbar über relevante Dinge nachdenken (was sie von nun an fast täglich an dieser Stelle verfolgen können, was ich schon jetzt androhen kann!).  

Nach fünf Tagen in diesem Zustand bin ich mir schonmal in einem sicher: Social Media sind nicht systemrelevant, sie sind genau genommen überhaupt nicht relevant. Ich habe noch nie so wenig Whatsapp geschrieben und bekommen wie in den letzten Tagen und ich habe noch nie so viel Schwachsinn auf Facebook, Instagram und Co. zur Kenntnis nehmen müssen, wie in den letzten Tagen (Selbsttest: Atmen sie im Kopfstand, und wenn sie husten müssen, haben sie Corona!). Also besinne ich mich auf die guten alten Nachrichtenversorger: Tagesschau fürs große Ganze, Hessenschau für das, was es im schönsten aller Bundesländer zu berichten gibt, und die lokale Tageszeitung für Neues rund um den Schornstein.  

Doch genau an dieser Stelle wird ein Schu(h) draus. Wenn Kiosk zu - keine Zeitung für Nahinfos. Denn ich gebe zu, dass ich keine Tageszeitungsabonnent mehr bin. Nun fällt meine systemrelevante Zeitungsversorgungsstation aber aus dem System, was mich wiederum dazu zwingt, längere Wege in Kauf nehmen zu müssen und damit möglicherweise eine höhere Sozialkontaktdichte zu generieren mit Menschen, die auch auf der Zeitungssuche sind.  

Eine schwierige Gemengelage. Wie gut, dass meine kleine Bäckerei-Filiale einspringt und nun auch Gedrucktes feilbietet. Kürzlich in den Räumlichkeiten unseres früheren Nahversorgers (bis zum 1. Januar war’s nämlich noch eine Tankstelle!) eröffnet, ist sie in Sachen Systemrelevanz von sofort an überhaupt nicht mehr aus meinem Isolationsleben wegzudenken. Und meine Familie freut’s, denn von nun an gibt es jeden Morgen frische Brötchen. Zumal sich der nach mir kommende ältere Herr als echter Gentleman erwies, freundlich Abstand von drei Metern hielt. Auch er hat wohl schon über Systemrelevanz nachgedacht.