Systemrelevant
18. März 2020 - Quarantäneblock
Um es gleich klar zu haben. Ich bin nicht in Quarantäne. Zumindest nicht aus infektiösen Gründen. Aber mein Kopf kommt sich so vor. Spätestens seit heute früh. Denn der Kiosk hat heute nicht mehr aufgemacht. Er ist nämlich nicht systemrelevant. Das wiederum hatte zur Folge, dass ich mich fragte, was überhaupt systemrelevant ist. Und weil man ja neuerdings seine Zeit anders disponiert als gewohnt, kann man ganz wunderbar über relevante Dinge nachdenken (was sie von nun an fast täglich an dieser Stelle verfolgen können, was ich schon jetzt androhen kann!).
Nach fünf Tagen in diesem Zustand bin ich mir schonmal in einem sicher: Social Media sind nicht systemrelevant, sie sind genau genommen überhaupt nicht relevant. Ich habe noch nie so wenig Whatsapp geschrieben und bekommen wie in den letzten Tagen und ich habe noch nie so viel Schwachsinn auf Facebook, Instagram und Co. zur Kenntnis nehmen müssen, wie in den letzten Tagen (Selbsttest: Atmen sie im Kopfstand, und wenn sie husten müssen, haben sie Corona!). Also besinne ich mich auf die guten alten Nachrichtenversorger: Tagesschau fürs große Ganze, Hessenschau für das, was es im schönsten aller Bundesländer zu berichten gibt, und die lokale Tageszeitung für Neues rund um den Schornstein.
Doch genau an dieser Stelle wird ein Schu(h) draus. Wenn Kiosk zu - keine Zeitung für Nahinfos. Denn ich gebe zu, dass ich keine Tageszeitungsabonnent mehr bin. Nun fällt meine systemrelevante Zeitungsversorgungsstation aber aus dem System, was mich wiederum dazu zwingt, längere Wege in Kauf nehmen zu müssen und damit möglicherweise eine höhere Sozialkontaktdichte zu generieren mit Menschen, die auch auf der Zeitungssuche sind.
Eine schwierige Gemengelage. Wie gut, dass meine kleine Bäckerei-Filiale einspringt und nun auch Gedrucktes feilbietet. Kürzlich in den Räumlichkeiten unseres früheren Nahversorgers (bis zum 1. Januar war’s nämlich noch eine Tankstelle!) eröffnet, ist sie in Sachen Systemrelevanz von sofort an überhaupt nicht mehr aus meinem Isolationsleben wegzudenken. Und meine Familie freut’s, denn von nun an gibt es jeden Morgen frische Brötchen. Zumal sich der nach mir kommende ältere Herr als echter Gentleman erwies, freundlich Abstand von drei Metern hielt. Auch er hat wohl schon über Systemrelevanz nachgedacht.
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