Dem deutschen Turnen fehlt der Glamour
14. März 2019 - Innenleben
Nein, es soll keiner vergrault werden. Aber ich muss mal mit der Medienschelte weitermachen. Und zwar ungefähr dort, wo ich in der letzten Woche aufgehört habe. Bei der Sportschau. Könnte aber auch das Konkurrenzprodukt sein, das eine Stunde früher über den zweiten öffentlich-rechtlichen Kanal flimmert und sich Sport Reportage nennt. Und wie das so ist, wenn man fundiert Kritik üben will: Wir schicken ein Lob vorne weg. Denn es ist ja eine helle Freude, wenn sozusagen zur besten Sport-Sendezeit am Sonntagnachmittag Turnen gesendet wird. Anlass genug gab es ja, für die Fußballredaktionen, die sich gerne mit dem Begriff Sport aufzuwerten suchen, eine Ausnahme von der Kickerregel zu machen und tatsächlich vom DTB-Pokal in Stuttgart berichteten. Nochmal – besonders angesichts des vielen Gegrummels – ein dickes Lob. Fünf-Minuten-Berichte, vorher angekündigt, und nicht nur ein kurzes Standbild im Nachrichtenblock. Die Kollegen in Schwaben scheinen einen guten Draht in die Redaktionen zu haben und selbigen schon jetzt im Hinblick auf die WM im Herbst so richtig am Glühen zu halten. Noch mehr Lob.
Doch gerade im Sinne der Schwaben wollen wir es mit dem Lob aber nicht übertreiben. Denn diese wirklich wunderbare Turnveranstaltung ging über die beiden Tage eines Wochenendes. Samstag und Sonntag. Nur, dass am Sonnabend halt die Herren turnten. Im Umkehrschluss der Fußball- (pardon: Sport-)Redaktion auf dem Mainzer Lerchenberg sollte das doch für das Sportstudio genügen, so mein kruder Gedankengang, denn Frauenfußball kommt nach elf am Samstagabend ja auch nicht vor. Krude, wie gesagt. Natürlich nicht. Drei Zweitligaspiele kickender Herren in aller langweiligen Ausführlichkeit überdecken natürlich das spannende und in diesem Falle männliche Geschehen in der Stuttgarter Turn-Halle. Will heißen: Turnen – Fehlanzeige. Soweit des Gegrummels erster Teil.
Kommen wir also zum Sonntag. Denn es klingt ja erstmal super. Ausführliche Berichte von einem hochklassigen Turnspektakel. Und dazu noch ein Livestream des „gastgebenden“ SWR. Fast. Denn was es zu sehen gab war eher eine Personality-Show der Simone Biles. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Texanerin ist ein Ausnahmetalent - und ihre turnerischen Leistungen nicht nur spektakulär sondern eine echte Augenweide. Doch vielleicht hätte den Berichterstattern auffallen können, dass dort noch mehr Turnerinnen (ups, stimmt, auch Eli Seitz fand kurz mit ihrer Weltklasse Stufenbarren-Übung statt) an den Start gingen und das Ganze sogar als sportlicher Wettbewerb mit Spannungsbögen auf allerhöchstem Niveau. Und nochmal kurz zur Erinnerung für die Kollegen in den Redaktionen: Am Tag zuvor waren auch Männer am Start, und auch aus nationaler Sicht nicht ganz so schlecht, denn Marcel Nguyen schaffte einen überraschenden vierten Platz im Weltklasse-Feld. Dass das Ganze noch durch eine Team-Challenge abgerundet wurde, und die deutschen Turner sogar mit Silber auftrumpften, fand dann keinen Platz mehr in den Reportagen. Warum auch? Nicht genügend Glamour, vermute ich. Doch wie hieß es früher: „Turnen ist mehr…“. Viel mehr als Glamour. Sicher.
Foto: DTB
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