2020

Der neue Kollege

Hessischer Turnverband - 20. März 2020 - Quarantäneblock

Nun lese ich als aufmerksame Kollegin seit drei Tagen den Blog und muss mich dazu auch mal zu Wort melden. Die Welt steht Kopf. Da sind wir uns wohl einig. Das Leben, wie man es so Tag ein, Tag aus kennt, macht gerade Pause. Hier herrscht Konsens.

Aber in den Beschreibungen des Kollegen aus der Wetterau kann ich mich nur bedingt wiederfinden. Nicht nur, dass mir als Stadtbewohnerin (beste Innenstadtlage in einer bekannten hessischen Universitätsstadt) das Kaffeetrinken im sonnigen Hof/Garten verwehrt bleibt – nein, der Lagerkoller in meiner Wohnung ist hier schon viel deutlicher zu spüren. Und das nach gerade mal einer Woche selbst auferlegter Quarantäne. Auf 65 Quadratmetern, verteilt auf zwei Zimmer, Küche, Bad geht man sich doch schon etwas mehr auf die Nerven als einem lieb ist. Die bessere Hälfte (und ich vermute, das „bessere“ in diesem Ausdruck werde ich mir in den kommenden Wochen immer mal wieder vor Augen halten müssen) hat einen anderen Rhythmus, eine andere Arbeitsweise, einen anderen Tagesablauf.

Dennoch teilen wir uns seit Montag ein Büro – aka unseren Küchentisch, belagert von zwei Computern, einem weiteren Bildschirm und zahlreichen Kaffeetassen. Dies hat zur Folge, dass er meine Kolleg*innen nun alle beim Namen kennt und sie anhand ihrer Stimme zuordnen kann. Einige von ihnen durften ihn auch schon mehrfach durchs Bild huschen sehen, wenn er sich während einer meiner Videokonferenzen zum Beispiel einen Kaffee machte („Du telefonierst mit Video? Wieso sagst du mir das nicht?“). Er ist also überall live dabei und gibt seinen Senf ab, was meinen Geduldsfaden am heutigen fünften Tag fast zum Reißen brachte. Er sieht die Dinge aber auch aus einer anderen Sicht und schlägt mir immer öfter auch sehr hilfreiche Sachen vor – Themen, Projekte, Herangehensweisen – und versteht vermutlich erst jetzt, was ich in meinem Job eigentlich wirklich mache. Das sind doch irgendwie sehr nette Nebeneffekte. Und außerdem sorgt er dafür, dass ich mich nicht von Cornflakes und Nudeln ernähren muss, sondern kocht und backt (heute gab es zum Mittagessen übrigens fanstatisches Hühnerfrikassee). Der neue Kollege ist also doch gar nicht so schlimm. Und wenn er jetzt noch lernt, seine Kaffeetassen nicht immer und überall rumstehen zu lassen, wird die Home-Office-Quarantäne-Zeit vielleicht doch erträglich. Denn wir werden – anders als der Kollege und seine Frau in der Wetterau – brav davon absehen, Zank-Kartenspiele zu spielen…

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